Oft werde ich gefragt, wie ich Übersetzung und Transkreation voneinander abgrenze. Wo hört Übersetzung auf, wo beginnt Transkreation?
Die kurze Antwort ist:
Wer Transkreationserfahrung hat, kann sowohl übersetzen als auch texten. Daher auch die Bezeichnung Transkreation, die sich aus “Translation” (Übersetzung) und “Kreation” (Erstellung von Texten) zusammensetzt.
Transkreator*innen decken daher ein ganzes Spektrum an Leistungen ab, was sich, wie ich finde, anhand des von mir entwickelten Transcreation Continuum gut veranschaulichen lässt.
(For the English version of the Transcreation Continuum, see The Transcreation Continuum.)
Schematisch kann man sich dieses Kontinuum ungefähr so vorstellen:
In diesem Kontinuum gibt es drei Hauptkategorien mit fließenden Übergängen: von der reinen Übersetzung, die ausschließlich auf einem Ausgangstext basiert (beginnend auf der linken Seite), bis hin zur reinen Textkreation (der Erstellung lokaler Inhalte ohne anderssprachliche Vorlage) [1] am anderen Ende.
Wenn wir uns auf diesem Kontinuum von links nach rechts bewegen, von informierenden (gelb) über überzeugende (blau) bis hin zu motivierenden Texten (grün) nimmt die Relevanz des Ausgangstextes immer mehr ab und die Relevanz der AIDA-Formel [2] immer mehr zu.
Auch der Grad der potenziellen Notwendigkeit für Anpassungen und des Um- und Neuschreibens nimmt zu, je weiter man sich in Richtung Textkreation (grün) bewegt.
Zusätzlich sehen wir hier, dass im informierenden (gelben) Bereich des Kontinuums insgesamt vergleichsweise hohe Textvolumina anfallen (ein Fondsprospekt allein kann schon hundert Seiten füllen, während ein Werbe- oder PR-Text in der Regel kaum mehr als zwei Seiten umfasst), weshalb sich die künstliche Intelligenz (KI) beziehungsweise Maschinenübersetzung (MÜ) vor allem auf den Bereich “informierende Texte” konzentriert. Dies deshalb, weil es aufgrund ebendieser Volumina viel mehr Daten gibt, die erfasst und verarbeitet werden können, und weil nur hier eine direkte Beziehung zwischen Ausgangs- und Zieltext besteht.
Ein mitunter völlig anderer Zieltext mit nur mäßigem bis marginalem Bezug zum Ausgangstext, wie dies im grünen und auch im blauen Bereich häufig der Fall ist, lässt sich für maschinelle Übersetzungstools kaum nutzen. Hinzu kommt:
Bei „grünen“ (motivierenden Textsorten) geht es vor allem um die Wirkung und Einzigartigkeit des Geschriebenen.
Die Software schert sich nicht um Einzigartigkeit, im Gegenteil, sie kann nur auf bereits vorhandenes Textmaterial abstellen. Eine Analyse von Wettbewerbern etwa nimmt sie nicht vor. Auch führt sie keine Gespräche mit Kundinnen. In einer Maschinenübersetzung werden nur die Ausgangstexte verarbeitet, vielleicht noch Glossare, nicht aber all die anderen zusätzlichen Informationen, der kulturelle Kontext, die Spezifika der jeweiligen Zielgruppen, das Briefing, was man individuell mit dem jeweiligen Text erreichen will.
KI und MÜ werden also weiterhin vor allem für Textsorten vom Typ „gelb“ (informierende Texte) zum Einsatz kommen, mit entsprechendem Post-Editing.
Transkreation für Texte, die überzeugen und motivieren sollen (blau, grün) dagegen bleibt ein Bereich, für den sich große Übersetzungsunternehmen aufgrund des geringen Automatisierungspotenzials und hohen personellen Aufwands weniger bis gar nicht lohnt. Dieser Bereich wird noch auf lange Sicht vor allem (kleineren) Agenturen und Freiberuflerinnen mit speziellem Marketing- und Werbefokus (einschließlich SEO) vorbehalten bleiben.
In der folgenden Abbildung sehen Sie ein Beispiel für ein Transkreationsprojekt, das sich über das gesamte Kontinuum erstreckt, etwa im Fall einer Website für ein Hotel:
Einige Teile dieser Website (etwa die AGB oder die Buchungsseite des Hotels) müssen in allen Details originalgetreu und vollständig übersetzt werden, sind auf diesem Kontinuum also definitiv gelbe Texte (links einzuordnen). Diese können durchaus maschinell übersetzt und nach einer entsprechenden Prüfung veröffentlicht werden.
Andere Teile wiederum sind sehr marketinglastig (im Sinne der AIDA-Formel) und müssen möglicherweise umgeschrieben oder ganz neu aufgesetzt werden (etwa die Homepage, auf der man als Besucher*in als erstes landet). Diese fallen folglich als motivierende Texte in den grünen (rechten) Bereich des Kontinuums. All jene Teile also, mit denen Sie die Aufmerksamkeit der Besucher*innen wecken und davon überzeugen möchten, dass es sich für sie lohnt, hier weiterzulesen und sich anschließend zum Beispiel die Zimmerseiten anzusehen. Oder gar gleich zur Buchungsseite zu gehen.
Und dann finden sich auf der Hotelwebsite vielleicht auch „blaue“ Texte (mittlerer Bereich) – Blogbeiträge, Medienberichte über neue Auszeichnungen oder Events und dergleichen.
Sogar die Karriereseiten bedürfen mitunter erheblicher Adaption. Häufig wird unterschätzt, wie viel Anpassung diese nicht nur aus rechtlichen Gründen erfordern, sondern auch im Hinblick darauf, wie man Arbeitnehmer*innen für das Unternehmen gewinnt (Stichwort „Employer Branding“). Aber selbst diese Texte sind nicht immer eindeutig zuordenbar. Das Vorgehen hängt bei jedem Projekt auch von den jeweiligen Ausgangs- und Zielmärkten ab. Manchmal können Transkreator*innen recht nah am Ausgangstext bleiben, manchmal müssen sie zusammen mit ihren Auftraggeber*innen alternative Lösungen finden.
Am wichtigsten ist dabei der übergeordnete Grundsatz:
Leser*innen müssen insgesamt und durchgehend das Gefühl bekommen, die Texte auf einer Website seien speziell für sie konzipiert und geschrieben worden.
Das weckt Vertrauen, und gerade wenn ich etwas buche, ist Vertrauen entscheidend. Viel zu oft werden heute immer noch Texte einfach aus anderen Kulturkreisen direkt übernommen und vielleicht mit (mehr oder weniger) hübschen Floskeln wiedergegeben. Diese sind für die Leser*innen bisweilen nichtssagend oder gehen vollkommen an ihren Präferenzen und Problemen vorbei.
In der Fülle an Texten, mit denen wir alle täglich bombardiert werden, reicht es eben nicht, schön oder flockig oder lustig zu schreiben.
Auch ohne Marktforschung und Statistiken wissen wir alle, dass wir als potenzielle Kund*innen lieber handeln oder kaufen, wenn wir uns verstanden und sicher fühlen, wenn unsere spontane Reaktion besagt: „Klasse, das ist genau das, was ich suche, und die Beschreibung spricht mich auch an, da habe ich ein gutes Gefühl dabei.“
Übrigens: Transkreation benötigt man nicht nur in der Werbung, sondern im Grunde immer dann, wenn ein Text inspirieren und motivieren soll. Ein Aufruf zu Aktionen für einen guten Zweck. Eine Rede der Vorstandsvorsitzenden, die alle Mitarbeiter*innen motivieren und für das Unternehmen und dessen Aktivitäten begeistern soll. Wann immer eine Botschaft wichtig ist und aufgrund kultureller Unterschiede teils umfassend adaptiert werden muss, ist Transkreation im Sinne des Transkreations-Kontinuums gefragt.
Und der Punkt ist, dass Transkreationsexpert*innen mit ihrer Kompetenz dieses Spektrum abdecken. Sie wissen, aufgrund ihrer Erfahrung und basierend auf den Gesprächen mit ihren Kund*innen, wie in jedem Fall zu verfahren ist. Wann nuancen- und detailgetreu übersetzt und wann – unter Einbindung ihrer Kund*innen – umfassend adaptiert oder gar neu getextet werden muss. Und Kund*innen ihrerseits haben die beruhigende Gewissheit, in besten Händen zu sein.
Aufgrund der kombinierten Expertise aus Übersetzungskompetenz und Copywriting-Kompetenz wissen Transkreationsexpertinnen, basierend auf einem Quelltext und einem Kundenbriefing, wann übersetzt und wann umgeschrieben werden muss und wie das im jeweiligen Fall zu erfolgen hat.
Da professionelle Transkreationsexpert*innen definitionsgemäß auch ausgebildete Texter*innen sind, können sie Texte auch ausschließlich anhand von Kundengesprächen aufsetzen. Aus meiner Praxis und aus den Beobachtungen von Kolleg*innen kann ich bestätigen, dass diese Fähigkeit immer mehr angefragt wird.
Und all das macht ihnen keine (noch so gute, neuronale) Maschinenübersetzung nach. So schreibt das Unternehmen Deepl auf seiner Website denn auch: „Die neuronalen Netze von DeepL sind in der Lage, selbst die kleinsten Nuancen zu erfassen und sie in einer anderen Sprache korrekt wiederzugeben.“ [3]
Auch wenn diese Behauptung ein wenig vollmundig erscheint: Fakt ist, dass die künstliche Intelligenz im Bereich der Übersetzung bereits große Fortschritte erzielt hat und zweifelsohne ein spannendes Thema ist, das die Branche umwälzend verändert.
Transkreation ist davon jedoch kaum betroffen, da Transkreation eben keine „nuancengetreue Erfassung“ eines Ausgangstextes und „korrekte Wiedergabe“ in einer anderen Sprache ist, sondern eine Leistung, die wesentlich über einen bloßen Ausgangstext hinausgeht.
Wenn Sie mehr über Transkreation erfahren möchten oder professionelle Unterstützung für Ihre internationale Kommunikation benötigen, vermitteln Ihnen meine Bücher und Kurse erste Einblicke. Ich freue mich auch über persönliche Gespräche — nehmen Sie hier mit mir Kontakt auf.
[1] Bei der Textkreation handelt es sich also um die Erarbeitung von Texten, bei denen ein Ausgangstext nur bedingt relevant ist oder vielleicht gar nicht oder nur in rudimentärer Form existiert.
[2] AIDA ist eine klassische Texter-Formel, bei der es darum geht, einen Text so zu gestalten, dass er zunächst Aufmerksamkeit (Attention) weckt, dann Interesse (Interest), dann Verlangen (Desire), dann Handlung (Action, egal welcher Art, vom Abonnieren eines Newsletters bis hin zu einer Bestellung).
[3] https://www.deepl.com/de/whydeepl (abgerufen am 21.04.2022)