Kennen Sie das Asterix-Prinzip?
Wenn nicht: Keine Bange, das ist keine Wissenslücke. Ich habe die Bezeichnung erfunden, weil sie mir so anschaulich erscheint und eine perfekte Ergänzung meiner Ausführungen in meinem Buch darstellt.
Vor einiger Zeit kam nämlich der neueste Asterix-Band in deutscher „Übersetzung“ heraus, und dazu stieß ich in unserer lokalen Tageszeitung auf ein lesenswertes Interview mit dem Übersetzer Klaus Jöken (siehe Fußnote 1).
Herr Jöken erzählt von den größten Schwierigkeiten bei der Übertragung der Asterix-Texte aus dem Französischen ins Deutsche:
Die meisten Wortspiele ergeben übersetzt gar keinen Sinn oder sind einfach nicht mehr lustig. […] Oberstes Ziel ist, dass man beim Lesen der deutschen Ausgabe genauso lacht wie bei der französischen Version. Wenn ich die ursprünglichen Gags durch eigene ersetze, müssen sie sich natürlich problemlos in die Handlung einfügen, außerdem zu den Bildern und – wie bereits erwähnt – auch in die Blasen passen.
Das Asterix-Prinzip illustriert mithin eine mehrfache Problematik, wie sie bei Transkreationen häufig anzutreffen sind:
- Wortspiele müssen neu erfunden werden.
- Diese müssen sich in in den restlichen Textduktus einfügen.
- Sie müssen Platzbeschränkungen erfüllen. (siehe Fußnote 2)
Klaus Jöken betont:
Für Laien mag es seltsam klingen, aber am wichtigsten ist, dass der Text am Ende in die Sprechblasen passt. […] Selbst der tollste Gag ist nichts wert, wenn er zu viel Platz einnimmt.
Platzbeschränkungen: Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung
Platzbeschränkungen sind oft ein Problem, das aber im Grunde, bei entsprechender Kommunikation mit dem Auftraggeber, sicherlich leicht lösbar wäre.
Dem Übersetzer Jöken ist es in diesem Fall gelungen, sich dem Auftraggeber gegenüber sichtbar zu machen, von ihm auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden: Er hat ihm die Problematik erläutert. Der Asterix-Zeichner Didier Conrad hat ihm daher im neuesten Band viel Raum in den Sprechblasen gelassen. Für den Zeichner keine große Sache, für den Übersetzer jedoch eine gewaltige Erleichterung.
Oftmals ist mehr Platz in der Transkreation aber schlicht nicht möglich. Da müssen wir als Transkreativtexter dann umschreiben und “kondensieren” (mehr dazu in meinem Blogartikel Dare to condense)
In der Übertragung der Asterix-Texte kommt zudem noch ein Aspekt zu tragen, der für die Transkreation ebenfalls überaus relevant sein kann:
Die Texte, Wortspiele und Gags müssen eine breite, durchwachsene Leserschaft ansprechen.
Jöken:
Diese Serie wird von allen verschlungen, also von Lesern jeden Alters und von allen Gesellschaftsschichten. Das bedeutet, man muss für gebildete Akademiker anspruchsvolle Wortspiele einflechten, trotzdem soll sich alles so locker und leicht lesen, dass selbst ein achtjähriges Kind die Handlung versteht und seinen Spaß hat.
Können Sie sich vorstellen, wie viel Wissen und Erfahrung sowie Tüfteln, Recherchen, Polieren und Feilen erforderlich sind, um diese Herausforderung zu meistern? Und wie viel Zeit dieses Tüfteln und Recherchieren, Polieren und Feilen in Anspruch nimmt?
Klaus Jöken setzt für Asterix „vier Monate konkrete Übersetzungszeit“ an. Das veranschaulicht gut, wie zeitintensiv sich exzellente transkreative Arbeit auch für erfahrene Vollprofis gestaltet.
Fazit
Das “Asterix-Prinzip” ist eine anschauliche Bezeichnung dafür, welche Herausforderungen in der Transkreation zusätzlich zur Übersetzung an sich zu bewältigen sind.
Ich muss Texte nämlich so übertragen und neu erfinden (!), dass sie
- gleichzeitig anspruchsvoll und eingängig sind
- Botschaften vermitteln, ohne zu belehren
- Platzbeschränkungen berücksichtigen
- zum vorhandenen Bildmaterial passen
- durchgehend die richtige Tonalität treffen
Und all das ist keineswegs so einfach, wie man vielleicht vermuten würde. Denn sonst gäbe es wohl nicht so eine ungebrochen hohe Nachfrage nach meinen Vorträgen und Trainings …
(1) Salzburger Nachrichten, 21. Oktober 2015, S. 7
(2) Übersetzungen etwa aus dem Französischen und Englischen werden im Deutschen erfahrungsgemäß um bis zu 20 % länger. Wenn der Platz auf Basis des Ausgangstextes beschränkt wird, muss man zusätzlich also noch geschickt kürzen. Bei Asterix muss der längere Text in die Sprechblase passen.